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Gastautoren

"Checkpoint Charlie"

Wer seinen Enkelkindern die folgende Geschichte vorliest, wird sicherlich in erstaunte Augen sehen.....aber lesen Sie selbst, was unsere Gastautorin aus ihren Kindertagen zu erzählen hat!

Checkpoint Charlie

Es war im Hochsommer des Jahres 1959, ein sehr heißer und trockener Tag. Im Zuge der Fluchterkundung und ihrer Vorbereitung fuhren meine Eltern, mein erst wenige Monate alter Bruder und ich, von Forst/Lausitz nach Westberlin, um eine Freundin meiner Mutter mit ihrer Familie zu besuchen.
Deutschland war geteilt, aber ein Reisen innerhalb dieser Zonen war ohne Probleme möglich, sah man von den zufälligen Kontrollen ab.
Und was macht der Berliner, wenn er Besuch von außerhalb bekommt?
Berlin wird vorgeführt.
So bummelten wir die Straßen entlang. Bestaunten die Auslagen in den Schaufenstern. Zwischendurch gab es Eis aus der Hand. Umkurvten so manches Straßenkaffee.
Irgendwann begann mein Magen zu knurren und ich sagte es meiner Mutter. Tante Ingrid, so nannte ich die Freundin meiner Mutter, hörte es. Kramte in ihrer großen Handtasche herum und holte dann einen gelben und krummen Gegenstand hervor und reichte ihn mir.
„Da, iss, es wird dir den ersten Hunger nehmen.“
Im gleichen Augenblick sagte Onkel Heinz, der Mann von Tante Ingrid: „Wir sind vorm Checkpoint Charlie, wo wollen wir jetzt hin?“
Während wir den Kontrollpunkt überschritten, biss ich in dieses gelbe Ding in meiner Hand. Kaute hungrig darauf herum. Es schmeckte scheußlich, würgte es aber schließlich hinunter.
Neben mir brach Jürgen, der vier Jahre älter war als ich und der Sohn von Heinz und Inge war, in ein schallendes Gelächter aus. Er krümmte sich vor Lachen, bis Tränen in seinen Augen standen, und ich, mit meinen acht Jahren, hatte keine Ahnung, warum er so lachte und schaute ihn fragend an.
Luft schnappend erklärte mir Jürgen, ich müsse die Schale von der Banane schälen, so hieß nämlich das Ding, das ich in meiner Hand hielt. Ratlos schaute ich alle anderen an, deren Gesichter die unterschiedlichsten Gedanken widerspiegelten.
Aber Jürgen zeigte mir sogleich, wie ich die Bananeschale in meiner Hand spalten konnte und zog die Schale von oben etwas hinunter, so dass der Kern frei lag, und ich hinein beißen konnte.
Und ich begriff.
Mit vollem Mund versuchte nun auch ich, in das fröhliche Gelächter mit einzustimmen, das um mich herum ausgebrochen war.

Und mein ganzes Leben lang, immer wenn ich etwas vom Checkpoint Charlie höre, denke ich an meiner ersten Erfahrung mit einer Banane. Komischerweise nie, wenn ich eine Banane esse.

© diekleinebenzmann

Foto: Joujou/www.pixelio.de

 

Foto: Joujou