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Gastautoren

Eine kleine Ewigkeit


Diesmal veröffentlichen wir von unserer Gastautorin eine etwas nachdenkliche Geschichte



Eine kleine Ewigkeit


Nun saß ich nach 13 Jahren das erste Mal wieder zu Heiligabend in dieser
Kirche. Ich hatte es geschafft, denn ich hatte mich überwunden. Habe einen
Fuß in diese Kirche gesetzt, die so viele Erinnerungen, fröhliche,
glückliche, traurige und unglückliche, beherbergt.

Mir war noch nie aufgefallen, wie schön und auch wie groß die Orgel in dieser kleinen Kirche ist. Wie heimelig und klein die Kirche selbst und doch erhaben so hoch mir erschien. Was mir besonders auffiel, sie war nicht mehr so lausig kalt, sondern angenehm warm, sie wurde also jetzt beheizt.

In dieser Kirche haben mein Mann und ich geheiratet, hier sind meine Kinder getauft und konfirmiert worden, hier wurde mein Mann ausgesegnet, auch meine Kinder haben hier geheiratet, und ihre Kinder wurden hier getauft. Viele erkannten mich wieder, und ich wurde mit einem Kopfnicken oder Lächeln begrüßt, manch einer reichte mir die Hand zum Gruße.

Früher, wenn ich Heiligabend mit meinem Mann und den Kinder in der Kirche „Stille Nacht, heilige Nacht“ sang, bekam ich einen Kloß in den Hals und konnte nicht weitersingen, oftmals auch mit nassen  Augen. Als diesmal der Organist „Stille Nacht, heilige Nacht“ anstimmte und die
Kirchengemeinde mitsang, sang auch ich. Ohne Kloß, ohne Tränen, ohne besondere Empfindungen.

Die Predigt wurde gehalten, anschließend das Krippenspiel...,  und zum Abschluss sang die  Gemeinde im Stehen „Oh du fröhliche“. Zirka hundert Stimmen sangen mit aller Inbrunst und ich stimmte mit ein... Die vielstimmigen Töne stiegen empor, füllten die kleine Kirche aus, und ich
hatte das Gefühl, die Wände der Kirche erbebten. Mein Herz wurde ganz leicht und mein Körper schwerelos...  Meine Stimme versagte, und überwältigt sank ich zurück auf die Bank und heulte Rotz und Wasser...

Das Lied endete und ich hörte „Na, geht es wieder?“, als ich aufsah, sah ich durch meinen Tränenschleier ein junges Frauengesicht, das selbst tränenbenetzt war und mich anlächelte.
Hatte auch sie ES während des Liedes gespürt?

©diekleinebenzmann

Foto: Privat
Foto: Privat