Glauben und Kirche
Der Friedensgruß.......
- Allgemeines
..........oder gebt einander ein Zeichen des Friedens und der Versöhnung!
Eine Geschichte von Ilse W. Blomberg.
1981
„Mit mir nicht! Was weiß ich, wer neben mir steht und wenn ich es weiß, dann weiß ich nicht, was oder wen der vorher angepackt hat. Und außerdem jedem würde ich auch nicht die Hand geben.“
Der Vater eines Kommunionkindes hielt mit seiner Meinung nicht hinterm Berg. Andere hielten sich eher dahinter, äußerten aber auch ihre Verunsicherung.
Was hatte den Mann veranlasst, entschieden zu sagen: „Mit mir nicht!“? Worum ging es ihm und worin waren andere verunsichert?
Es ging darum, dass das „Der Friede des Herrn sei allezeit bei Euch“ nicht mehr nur verbal „und mit Deinem Geiste“ beantwortet werden sollte, sondern auch mit einem Zeichen. Im wahrsten Sinne des Wortes mit einem Handzeichen.
„Gebt Euch ein Zeichen des Friedens und der Versöhnung!“
„Und wenn einer meine Hand nicht nimmt?“
„Vielleicht will ich und der andere nicht!“
„Und wenn der andere krank ist, mich ansteckt?“
„Dazu kann mich ja wohl keiner zwingen!“
„Ich würde lieber ganz ungestört in meiner Bank sitzen!“
„Händeschütteln!?“
„Wer hat sich das denn wieder ausgedacht?“
„Sicher die jungen Kapläne!“
„Ob das auch im Sinne von Pastor Hövels ist?“
„Neukram!“
Aber so ein Neukram ist dieser Friedensgruß mit Händedruck nicht. In den urchristlichen Gemeinden war es durchaus üblich, diesen Gruß jeder Person zukommen zu lassen, mit der man in Kontakt trat, sei es im Gottesdienst oder im Alltag. „Friede sei mit Dir!“ „Shalom!“ Es war auch durchaus üblich, sich beim Friedensgruß zu küssen oder zu umarmen.
Im Laufe der Jahrhunderte wurde der Friedensgruß jedoch immer mehr aus dem Alltag verdrängt und hat heute seinen Platz lediglich in liturgischen Handlungen.
Das zweite vatikanische Konzil (1962 bis 1965) knüpfte an die Friedensgrußpraxis der Urchristen an. Es entschied, dass der Friedensgruß unter den Gemeindemitgliedern ausgetauscht wird, indem sie einander die Hand reichen.
Wenn man bedenkt, dass Rom schon seit 1965 die Hand nach Ahlen ausstreckte, muss man sich doch wundern, dass die Hand ausgestreckt blieb, bevor sie in den achtziger Jahren angenommen wurde.
Angenommen?
Hier in Ahlen, in Westfalen ?
Es hat gedauert und dauert ja immer noch.
Doch dann kam Bewegung in die Über-, bzw. Umsetzung des Wunsches von Rom.
1999
Ein großer Befürworter von „Gebt euch ein Zeichen des Friedens“ kam in unser kleines Städtchen und mit ihm Fortschritt auf diesem Gebiet.
Anno 1999 entklomm ein junger Priester seinem Auto, parkte es hinterm Bahnhof, durchschritt die dunkle Bahnhofsstätte, roch Zeche und sah erst einmal mehr grau als hell.
Kannte er aus Gelsenkirchen auch.
Als ihm der Wind aus nordwestlicher Richtung an den Kragen ging, schlug er seinen blauweißen Schal zweimal um den Hals.
Machte er in Gelsenkirchen auch.
Er lenkte seinen Fuß Richtung Bartholomäuskirche, kam an der Marienkirche vorbei, sah gebrochenes Licht durch bunte Kirchenfenster glänzen, kämmte sich im Vorübergehen die vom Wind zersausten langen Haare, blieb, wurde unser Pastor Willi Stroband und wirkte.
Er fühlte sich dem franziskanischen Erbe verpflichtet, liebte alle Menschen und lebte ihnen vor, dass der Nächste immer der ist, dem man gerade begegnet. Und dass der Einzelne im Gottesdienst eingewoben ist als Bruder oder Schwester unter Brüdern und Schwestern. Er lebte ihnen vor, dass der Frieden durch Handgebung diese geschwisterliche Verbundenheit glaubhaft macht. Er diskutierte nicht, er übte nicht, er machte ganz einfach. Und siehe da, es klappte mit der Handreichung beim Friedensgruß und mit der Händekette beim VaterUnser. Diese über Jahre vertraut gewordene Praxis in den Gottesdiensten von Willi (Brüder und Schwestern kennen kein „Sie“) erfuhr 2009 eine große Bedrohung. Eine epedemieartige Krankheit, die sogenannte Schweinegrippe, hielt Einzug in Deutschland.
2009
In den Schulen wurde den Kindern beigebracht, wie sie in die Armbeuge hinein husten oder niesen sollten und wie sie ganz besonders gründlich die Hände waschen müssten, um Ansteckung zu vermeiden. Erwachsene liefen sogar mit Mundschutz durch die Straßen. Vor allen Formen von Körperkontakt wurde gewarnt.
Und unser Bruder Willi mit seiner Aufforderung: „Gebt euch ein Zeichen des Friedens?“, wie verhielt er sich?
Verzichtete er auf dieses äußerliche Zeichen bei der Eucharistiefeier? Sagte er: Wir unterbrechen in Zeiten der Schweinegrippe das Ritual der Handreichung?
Unterbrach er die Händeketten beim VaterUnserGebet ?
Hörte er auf durch die Kirchenbänke zu gehen, um den Menschen den Friedensgruß zu bringen?
Folgte er den Empfehlungen, der Bischöfe: Keine Kelchkommunion, keine Berührung beim Friedensgruß.?
Wie verhielt er sich?
Er verhielt sich in dieser kranken Zeit nicht anders, als in der gesunden Zeit. Er lud wie immer zum Friedensgruß durch Handgebung ein. Er ging wie immer durch Kirchenbänke und gab vielen die Hand und er teilte wie immer mit dieser vielgenutzten Hand die Kommunion aus.
Was machte ihn so sicher, dass allzu große Vorsicht, übertrieben sei?
Sicher nicht die Überzeugung, dass der Kirchenraum in jeder Gefahr ein Schutzraum ist. Und sicher auch nicht die Überzeugung, dass der Weihrauchduft Bazillen und Viren fernhält.
Nein, er hielt es genau mit dem vatikanischen Konzil von 1962 - 65. Die Handreichung soll dem Gegenüber zeigen, dass alles Trennende in den Hintergrund treten muss.
Die Schweinegrippe war ja wohl ein trennendes Faktum und das musste jetzt in den Hintergrund treten..
Und so haben wir uns und ihm weiterhin die Hand gegeben und uns /Gott seis gedankt/ nur vom Friedensgedanken anstecken lassen.
2012
Die Zeit der Schweinegrippe ist vorbei.
Die Zeit der Diskussionen ist vorbei. Man hat seinen Standpunkt.
Und ein Standpunkt war in der letzten Messe mein brüderlicher Nachbar.
Konnte ganz gut mitbeten: „VaterUnser!“, zügig und kräftig. Konnte auch gut mitsingen: „Herr, gib uns Deinen Frieden!“, warmer Bariton. Konnte auch gut zuhören: „Der Friede des Herrn sei allezeit bei Euch!“ und antworten: „Und mit deinem Geiste!“
Und ich erinnerte mich an einen Gottesdienst im Kloster Notre-Dame-du-Bec in der Normandie, wie Bewegung in die Gemeinde kam und alle mit heiteren, fröhlichen Gesichtern durch die ganze Kirche gingen, um sich gegenseitig den Frieden zu wünschen und uns Gäste des Klosters ganz selbstverständlich mit einbezogen.
In Erinnerung daran und mit freundlichen Gedanken gegen jedermann, wollte ich der Aufforderung unseres Priesters: „Gebt einander ein Zeichen des Friedens!“, gerne Folge leisten.
Ich wandte mich meinem Nachbarn zu, um ihm in geschwisterlicher Absicht die Hand zu reichen. Aber er stand bewegungslos da, starrte geradeaus und signalisierte mit seiner ganzen Gestalt: „Mit mir nicht!“
Mit mir nicht? Immer noch?
Mit mir doch! Immer noch!
Ilse Blomberg
